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Lokale Winde rund Korsika |
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Von Rolf Jüngermann |
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Last update: Montag, 7. März 2000, 14:52 Uhr |
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Unerwartete Nordlage n der Ostküste Korsikas
Die Ostküste Korsikas ist nicht besonders populär unter Seglern.
Zu Recht. Der südliche Abschnitt der Ostküste wird hingegen gerne
besucht. Ja, er ist in mancherlei Hinsicht sogar attraktiver als die Westküste,
weil man dort in einer Reihe von gemütlichen und romantischen Ankerbuchten
mit teilweise hervorragenden Sandstränden gute Deckung und sicheren
Schutz vor Libeccio und Mistral findet. Und bei Flaute geht´s ab in die
nahe gelegene Strasse von Bonifacio. Dort weht meist immer noch eine frische
Brise.
Es gibt jedoch eine ausgesprochen unangenehme Nordlage an
der Ostküste, auf die die meisten Segler - bis auf die einheimischen -
nicht eingestellt sind auf ihren gemütlichen und sicheren Ankerplätzen
(oder auf ihrem Rückweg unter Termindruck nach Elba).
Die Situation entwickelt sich etwa so : Eine durch
Mistral und Genuatief geprägte Starkwindperiode mit vorherrschend westlichen
Windrichtungen geht zuende. Der Revierkundige merkt das u.a. daran, dass
das Genuatief in Bewegung Manchmal dauert der Spuk nur wenige Stunden, kann aber leider
auch über mehrere Tage gehen. Ist diese Nordlage vorbei,
beginnt in der Regel die nächste hoffentlich lange Schönwetterperiode,
bis Mistral und Genuatief erneut ihr hartes Regime errichten.
Die Wetterberichte kündigen diesen Nordwind nicht immer
deutlich genug an. Die Einheimischen und Revierkundigen kennen ihn jedoch
als klassischen Teil des Wetterzyklus der Region.
5.3.00, Rolf Jüngermann
2. 1. Wetterberichte im westlichen Mittelmeer
Im Westlichen Mittelmeer (das "schlicht zu den gefährlichsten
Seegebieten der Welt gehört" so Bobby Schenk über den Golf de Lion) gibt
es für Nicht-Franzosen ein mittleres Problem: Die einzigen Wetterberichte,
die wirklich etwas taugen, wenn es um die Frage aller Fragen geht
(Kommt der Mistral oder kommt er nicht - wann genau kommt er - wann geht
er - wie stark wird er wehen?) sind die französischen. Die Franzosen
haben aber ein - sagen wir mal - liebevolles Verhältnis zu ihrer
Sprache und geben ihre Wetterberichte unbeirrbar nur auf französisch heraus.
Das gilt sowohl für UKW als auch für Kurzwelle. Selbst in der Hochsaison
und bei Starkwind- und Sturmwarnung. Nicht einmal eine abschliessende
englische Zusammenfassung gibt es.
Ausweichen auf italienische, englische oder deutsche Wetterberichte
ist aber nicht ungefährlich, da diese in der zentralen Frage (siehe
oben) keine hinreichende Kompetenz haben. (Wahrscheinlich weil die Franzosen
früher über die lokalen Messdaten verfügen, die für eine verlässliche
und stundengenaue Vorhersage ausschlaggebend sind.) Auch Barometer
und Himmelsbeobachtung bieten keine zuverlässige Hilfe. (Westlich von
Toulon steigt das Barometer vor dem Ausbruch des Mistral oft sogar leicht
an.) Also was tun?
Man sollte - womöglich - . . .
a) versuchen, mit Radio Monaco in Kontakt zu bleiben.
Dort wird sowohl auf UKW als auch auf Kurzwelle der französiche Wetterbericht
im Wortlaut wiederholt und anschliessend ins Englische übersetzt.
Und wenn der französische Wetterbericht für das Seegebiet westlich Korsika einen Wind aus West oder Südwest Stärke 4-5 ausdrücklich ankündigt, kann man das durchaus als erste höflich-dezente Andeutung einer möglicherweise in den nächsten Tagen bevorstehenden Starkwindlage verstehen. Vor allem aber dann, wenn nach einer längeren Schönwetterperiode von ´gewittrigen Störungen´ die Rede ist, die ´vom Atlantik her heranzuziehen beginnen´. Mindestens ein oder zwei Tage wird es dann aber schon noch dauern und vielleicht passiert auch gar nichts. (Der Begriff Mistral - oder auch Tramontane - wird übrigens im Wetterbericht nie benutzt.) 5.3.00, Rolf Jüngermann
2. 2. Von einem Mistral im Golf de Lion erwischt -
was tun ?
- versuchen, trotz allem den beabsichtigten Kurs zu fahren? Der Mistral entwickelt eine solche Gewalt und vor allem
eine solch steile und ständig brechende Welle, dass die französischen
Segler auch grösseren Schiffen von all diesen Strategien abraten. Ihre
Empfehlung: am besten noch bevor es richtig losgegangen ist
versuchen, seitlich auszubrechen. Also zum Beispiel auf Steuerbordbug
abrauschen nach NordOst in Richtung Riviera, wenn man sich gerade
auf einer Überfahrt von der Côte d´Azur nach Korsika befand. Keinesfalls
versuchen, vor dem Sturm abzulaufen und Calvi oder Ajaccio anzusteuern.
Oder auf Backbordbug ab nach Südwest in Richtung spanische Küste, wenn
man auf dem Weg zu den Balearen war.
Die zentrale Zone der wirklich extremen Windstärken ist bei
Mistral nämlich recht eng begrenzt. Sie greift meist in langgestreckter
Zungenform etwa von Nordwest nach Südost (ganz grob die Linie Marseille
- Nordsardinien oder auch Balearen) in den Golf de Lion hinaus und ist
oft nur wenige Meilen bis -zig Meilen breit aber 100 und mehr Meilen
lang. Sie schwenkt oft im Verlauf langsam immer mehr in Richtung
Nordkorsika (Balagne / Cap Corse) um danach abzuschwächen. Wer also vor
dem Wind nach Südosten abzulaufen versucht, läuft Gefahr, in dieser
Extremzone zu verbleiben oder in sie hinein zu geraten und in eine problematische
Lage zu kommen. Denn je länger der Mistral weht und je weiter der Fetch
(also die Entfernung von der französischen Küste) ist, umso unangenehmer
wird die Welle. Einige Meilen links oder rechts von dieser Sturm´zunge´
hingegen sind die Verhältnisse zwar noch schwierig genug, aber handhabbar.
Nach allem was man hört, erübrigen sich Diskussionen
über beidrehen oder gar gegenan (´Moitessier-Kurs´) bei Mistral. Diese
Sturmstrategien werden durch die spezifische Form der Welle bei Mistral
ganz einfach unmöglich.
5.3.00, Rolf Jüngermann 2. 3. nächtliche Beruhigung des Mistral -
ein weit verbreiteter und manchmal folgenschwerer Irrtum
.
Nachts beruhigen sich in aller Regel Wind und Welle erheblich.
Das ist eine Grunderfahrung des Küsten-Skippers im westlichen Mittelmeer,
die zu allen Jahreszeiten und bei nahezu allen Wetterlagen gilt.
Und wenn schon das Fahrtziel in der ´falschen´ Richtung liegt und wir
womöglich motoren müssen, dann lieber nachts. Das hat eine ganze Reihe
von Vorteilen - so die durchaus korrekte Schlussfolgerung.
Diese in Küstennähe gewonnene Erfahrung und die
darauf beruhende Entscheidung zugunsten von Nachtfahrten kann bei Mistral
üble Folgen haben. Die scheinbare nächtliche Beruhigung des Mistral betrifft
nämlich nur das Land sowie einen mehr oder weniger schmalen Streifen
an der Küste. Draussen - das heisst nur wenige Meilen vom
plötzlich angenehm ruhig gewordenen Liegeplatz im Hafen oder in der Bucht
entfernt - bläst der Mistral mit uneingeschränkter Kraft weiter,
auch bei Nacht.
Wenn man zum Beispiel bei dieser Wetterlage abends irgendwo
von der südfranzösischen Küste aus aufbricht, ein Stückchen zu weit hinaus
gerät und der Starkwind einen erst einmal erfasst hat, ist schnell
ein ´point of no return´ passiert und an einen Rückzug nicht mehr zu denken.
Und den in der einschlägigen Literatur verbreiteten besonderen
seglerischen Leckerbissen einer schnellen Rauschefahrt ´auf dem Schwanz´
des ausklingenden Mistral hinüber nach Korsika sollte man lieber
den gewieften einheimischen Seglern mit ihrem in Jahrzehnten erworbenen
6. Sinn für diese Wetterlage überlassen.
5.3.00, Rolf Jüngermann
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